Bestsellerautor & Strukturgeber
Lerneffekte beim Schreiben – Über die Verfestigung der Gedanken beim Schreiben
Dieser Artikel ist eine Zusammenfassung meiner Masterarbeit, und wurde so in einem Fachbuch für Journalisten veröffentlicht, deswegen spreche ich dich hier ausnahmsweise mit „Sie“ an.
Über die allmähliche Verfestigung der Gedanken beim Schreiben
„Ich denke also bin ich“ resümierte der Philosoph René Descartes seine Suche nach der Sicherheit des Wissens. Ebenso gilt die Gleichung „Ich schreibe also denke ich“, wie ich in diesem Artikel zeigen möchte. Jeder Schreiber der mit komplexen Texten zu tun hat oder sich umfangreich in neue Sachverhalte hereindenkt, muss sein Wissen zunächst erarbeiten, strukturieren und zusammenfassen. Dies funktioniert in keinem einfachen, linearen Prozess. Vielmehr durchläuft der Schreiber “evolutorische” und rekursive Schleifen der Wissenserabeitung.
Ich habe dies oft leidlich erleben müssen. Ein gutes Beispiel ist ein Essay (5000 Wörter), das ich nach Beginn meines Psychologiestudiums schreiben musste. Ich hatte gerade drei Wochen Zeit, um mich in vier verschiedene Theorien hereinzuarbeiten. Kritische Auseinandersetzung mit dem Thema und Integration des Wissens war gefragt, ein „einfaches“ Wiedergeben der Theorien wurde bestraft. Unmöglich, eine konkrete Argumentationsstruktur des Textes aufzubauen, denn ich hatte die Komplexität des Themas noch nicht verarbeitet. Ich konnte mir nicht helfen, ich musste anfangen zu schreiben: Ich kopierte alle meine Notizen in ein „Masterdokument“ und begann, die einzelnen theoretischen Bausteine und Positionen unter Zwischenüberschriften zu Sinneinheiten zu clustern. Ich druckte den Text immer wieder auf, um diese Sinneinheiten immer wieder hin und her zu schieben, bis ich eine Struktur gefunden hatte, die logisch war. Mit den Überarbeitungsschleifen und den wiederholten Rückgriff auf Quellen, die ich neu einarbeite, generierten sich sowohl neue Fragen als auch erste Antworten. Bald zeigten sich Aha-Effekte und das Wissen festigte sich durch das wiederholte Lesen und aktive Erarbeiten. Immer mehr Zusammenhänge wurden sichtbar, da ich diese ja durch die Zuordnung zu meiner Struktur aktiv suchte.
Dieser Schreibprozess glich dem, was Wittgenstein „blindes puzzeln“ nannte. Ich puzzelte ein Textbild zusammen, ohne zu wissen, wie das Bild aussehen sollte. Dieses im Dunkeln tappen war entsprechend leidvoll, dementsprechend schwor mir nach diesem Essay nie wieder! Denn immer schon, sei es bei meiner Diplomarbeit oder beim Schreiben meines ersten Buches, aber selbst bei kürzeren Essays und Texten – nie schaffte ich dem zu entsprechen, was man mir von verschiedenen Stellen als Idealbild des Schreibens versuchte einzutrichtern: Das war, zunächst die Gedanken zu ordnen, dann erst zu schreiben und letztendlich mehr oder weniger nur stilistisch den Text zu überarbeiten. Schöne Theorie, doch waren die Themengebiete einfach zu komplex, als dass ich Sie gedanklich so tief durchdringen konnte, das der Text nur ein Ergebnisbericht des Denkens ist. Stattdessen dachte ich vielmehr im Text. Dennoch wollte ich weg von diesem zähen Prozess, beim nächsten Mal alles anders zu machen – bis ich eine Höchstnote für das Essay bekam. Das entsetzte mich. War ich doch überzeugt davon gewesen, total ineffizient gehandelt zu haben! Ich stand vor einem Paradox – irgendetwas musste ich wohl richtig gemacht haben. Ich beschloss, diesem Phänomen auf die Spur zu gehen und forsche seitdem zum Thema „Schreiben als Lernstrategie“.
Ich fand etwas, dass man „epistemischen Effekt“ beim Schreiben nennt und werde einige Mechanismen dessen beschreiben und mit meinen ersten Forschungsergebnissen anreichern. Die Theorien stammen aus der Textproduktionsforschung und der Kognitionspsychologie (die sich mit dem Denken beschäftigt), aber keine Angst, Sie werden die dahinter stehen Theorien in kleinen leicht verdaulichen Happen serviert bekommen. Ich werde mich zunächst mit dem Prozess des Schreibens auseinandersetzen und dann auf das Produkt des Schreibens – dem Entwurf – eingehen und aus der Beobachtung assoziierter Lerneffekte entsprechende Schreibstrategien ableiten. Danach nähere ich mich aus einer zeitlichen Perspektive dem Lerneffekt und zeige, warum das Vergessen und zeitlicher Abstand von den eigenen Textprodukten wichtig für Objektivität, Qualität und Leserfreundlichkeit sind. Ich möchte mit meinem Beitrag vor allem eins zeigen: Ein guter Text ist wie eine leckere Frucht, die Zeit braucht, um zu reifen. Sie benötigt die richtige „Bearbeitung“ mit den richtigen Techniken, Sonnen- als auch Regentage.
Warum wir erst wissen, was wir denken, wenn wir es sagen oder schreiben
Der Lerneffekt und die Aha-Erlebnisse beim Schreiben hängen eng mit der Funktionsweise unseres Gehirns zusammen. Unser „Betriebssystem“ funktioniert allerdings nicht wie ein richtiger Computer, in dem fertige Gedankenketten in Form von Textdokumenten gespeichert sind. Vielmehr gleicht es einem dreidimensionalen Spinnennetz, in dem Gedanken durch die Erzeugung von verschiedenen elektrischen Impulsen entstehen. Gedankenverbindungen werden aktiv, erst beim Denken selbst immer wieder neu erzeugt. Wissen ist folglich in keiner fertigen, starren Form gespeichert – es entsteht immer wieder neu und ist der Aufgabe und den Restriktionen recht flexibel anpassbar – auch wenn dies einige Mühen kostet, bis die entsprechenden Wissensfäden in eine entsprechende Struktur und Sinneinheit gebracht worden sind.
Nun können wir ebenso annehmen, dass die Intensität dieses Denkens zunimmt, wenn das innere Denken nach außen verlagert wird. Denn beim Durchsprechen von Ideen müssen wir die Gedanken ordnen und mit konkreten Begriffen versehen. Damit werden Sie griffiger – die lose Form des Wissens ist in eine konkrete überführt worden. So können wir unsere Gedanken mit anderen oder – wenn wir laut denken – mit uns selbst teilen und erhalten neuen Input und Feedback zu unseren Ideen. Oft werden während des Sprechvorgangs erst die Gedanken und Meinungen konkret – das ist der Grund für den berühmten Ausspruch „Wie soll ich wissen, was ich denke, bevor ich gehört habe, was ich sage?“.
Durch den Schreibprozess dürfte sich der eben beschriebene Konkretisierungs-effekt noch um einiges verstärken. Das hat mehrere Gründe. Erstens schreiben wir langsamer als wir sprechen und haben dabei mehr Zeit zum reflektierten und tiefgründigen Denken. Zweitens wird dieser Effekt nach Meinung einiger Wissenschaftler durch die mechanischen Bewegungen beim Schreiben noch verstärkt: Es gibt Spekulationen, das Handschriftliches besser als das Tippen auf der Tastatur erinnert und verarbeitet wird, weil dort jeder Buchstabe mit einer einzigartigen Handbewegung codiert wird. Letztendlich sind die Gedanken durch die Niederschrift nun auch in visueller Form präsent. Man kann einfach zum letzten Satz zurückspringen und daran anknüpfen. Das macht das Denken geradliniger.
Nach diesem kurzen Umriss, der dynamischen Perspektive beim Schreibprozess, gehe ich nun auf einer eher statischen Ebene näher auf das selbst geschaffene Produkt des Schreibens – den Textentwurf – ein.
Etwas Abstand tut gut: Der Distanz-Effekt
Als „Distanz-Effekt“ bezeichnet man die wesentliche Eigenschaft des geschaffenen Textes, die es erlaubt das Denken auf eine höhere Ebene zu bringen.
Wenn die ersten Gedanken einmal auf dem Papier sind, können wir sie kritisch überprüfen und revidieren. Anders als beim Sprechen, haben wir eine Aufzeichnung unserer bisherigen Gedanken und können uns von diesen inhaltlich distanzieren indem wir sie korrigieren und überarbeiten. Wir müssen unsere Gedanken-Fäden nicht erst wieder neu spinnen, sondern können unser Gedankennetz an den wichtigen Stellen verstärken, umbauen oder schwächere Teile wieder herausnehmen. Der Output unser bisherigen Ideen wird so zum neuen Input für die weitere Analyse. Unser Kurzzeitgedächtnis kann nun mal nur eine bestimmte Menge an Informationen gleichzeitig verarbeiten. Wenn der Text die Konstruktion eines originellen oder komplexen Arguments bedarf dann können die Beziehungen zwischen den Ideen und Konzepten schnell unseren „Arbeitsspeicher“ überlasten. Weil aber Geschriebenes permanent ist, kann der Autor ihn als Gedächtnisstütze zum Aufzeichnen und erneuten Lesen seiner Ideen verwenden. Da die Niederschrift der Ideen das Gedächtnis entlastet, wird neue Kapazität frei um die niedergeschriebenen Informationen zu prüfen, zu analysieren und umzuwandeln.
Schreiber erkennen Bedeutungen und Schlussfolgerungen, die noch nicht offensichtlich zum Schreibzeitpunkt waren. Sie sind nun in der Lage neue Ideen zu den alten in Beziehung zu setzen und können diese in einem trial-and-error Verfahren testen. Ebenso kann geprüft werden, ob das was man eigentlich ausdrücken wollte, mit dem übereinstimmt, was man tatsächlich geschrieben hat, denn nicht alle Gedanken lassen sich so leicht in die richtigen Worte fassen. Letztendlich werden durch Überarbeitungen gewisse schwach entwickelte Punkte ausgebaut und andere so weit verdichtet, dass ein gleichmäßiges Textbild entsteht. Diese Überarbeitungsschritte sind auch mit einer Umorganisation der eigenen Wissensrepräsentation verbunden, so dass der Endtext tatsächlich beim Erarbeiten des eigenen Wissens und dessen Struktur geholfen hat.
So nutzen Sie die dynamischen und statischen Lerneffekte beim Schreiben:
Selbstreflexion: Beobachten Sie Ihre Schreibprozesse und –produkte hinsichtlich des Auftretens dieser beschrieben Lerneffekte. Welche spontanen Einsichten kommen Ihnen während des Schreibens? Können Sie besser am Rechner oder per Hand konzeptionieren? Wie und wann revidieren Sie Ihre Texte? Nutzen Sie die Chance, den fertigen Text noch einmal aufzubrechen und umzuschreiben oder doktern Sie nur an der orthographisch-stilistischen Oberfläche herum?
Denken von Kommunikation trennen: Während des Schreibens komplexer Texte verändert sich oft die Richtung der Argumentation und damit auch der rote Faden. Ein Text wird so holprig und ist nur mühlselig wieder in die neue Bahn zu bekommen. Optimal wäre daher das „Schreibens zum Denken“ (für sich selbst) vom „Schreiben als Kommunikation“ (für andere) zu trennen. Meist ist das aber ein zu langer Prozess. Deswegen nachfolgen einige Kompromisslösungen…
Freies Schreiben: Die grobe Gliederung steht, Ihnen fehlen aber die Details und die konkrete Argumentationskette? Arbeiten Sie in diesem Fall mit kleinen „Satelliten-Texten“ auf einem leeren Blatt oder Dokument. Schreiben Sie wild drauflos – packen Sie alles rein, was Ihnen zu dem Thema in den Sinn kommt. Folgen Sie den Brainstorming-Regeln und schalten den inneren Zensor aus. Erst wenn Sie innerlich vollkommen leer und das Papier voll ist, können Sie bewerten: Welche Gedanken sind brauchbar, welche Formulierungsansätze originell und welche Struktur sinnvoll? Übertragen Sie diese Goldstücke in das Hauptdokument und entwerfen Sie dabei schon gleich den nächsten Textentwurf.
Sich-Frei-Schreiben: Ihnen fällt es schwer einen bereits bestehenden Textbrocken in eine nette Form zu bringen, weil Ihnen die Energie fehlt, bestehende Formulierungen wieder aufzubrechen? Dann lösen Sie sich zunächst komplett von dem bestehenden Abschnitt und schreiben Sie ihn in einem Guss vollkommen neu. Es wird Ihnen jetzt leichter fallen, den Text kohärent und zügig herunterzuschreiben, denn Sie besitzen nun das nötige inhaltliche und formelle Wissen. Gehen Sie danach zum ursprünglichen Abschnitt zurück und arbeiten Sie Vergessenes und gute Formulierungen mit ein, um die Vorarbeit so zusätzlich zu nutzen.
Notizen / Gliederung: Wenn Sie möchten, kürzen Sie den Schreibprozess ab, indem Sie eine umfangreiche und detaillierte Gliederung entwerfen, die alle Kernaussagen und Überleitungspassagen (für den roten Faden und die „Story“) enthält. Diese Möglichkeit, die epistemischen Schreibeffekte zu nutzen ist noch nicht empirisch überprüft aber offensichtlich. Auch hier gilt: Diese Gliederung ist kein Ideal, das Sie 1:1 umsetzen. Nutzen Sie diesen „Textnavigator“ eher als Orientierung, bewerten Sie ihn kritisch und sortieren Sie danach die Punkte neu, bevor Sie diese in den Text übertragen.
Flexibel strukturieren mit MindMaps: Eine andere Möglichkeit, Gedanken sehr dynamisch zu ordnen und leicht umzustrukturieren besteht in der Arbeit mit computergestützten MindMaps. Nachdem Sie die ersten Gedanken alle im MindMap stehen haben, beginnen Sie diese einzelnen Gedankenfetzen zu clustern und bringen Sie in eine Reihenfolge, die leicht evaluiert und verändert werden kann. (Einen aktuellen Link zur MindMap Software finden Sie auf der Webseite www.studienstrategie.de).
Back to the roots: Damit meine ich nicht, dass Sie zu Steinplatte, Hammer und Meisel greifen sollen – doch Stift und Papier können sich als sehr nützlich erweisen, weil wir ja vermutet hatten, dass das handschriftliche Schreiben einige Vorteile gegenüber dem monotonen computertippen haben könnte. Sie können auf dem Papier leichter Ihre Gedanken visuell anordnen oder gar zeichnen. Probieren Sie daher, ab und an sich auch handschriftlich Ihrem Thema zu nähern. Nochmals: Schreiben Sie diese Version nicht einfach nur stur ab, sondern lassen sie Ihre Gedanken beim Übertragen auf den Rechner erneut fließen und abschweifen.
Der Einfluss der Textart: Der Genre-Effekt
Ein weiterer Lerneffekt des Schreibens beginnt schon vor dem eigentlichen Schreibprozess. Durch die Wahl des Text-Genres, einer gewissen Textart, wird die Art und Weise des Schreibens und der Argumentation vorbestimmt. Argumentative, erzählende, vergleichende oder lustige Texte haben nicht nur einen eigenen, charakteristischen Aufbau und Stil, sondern lenken auch das Denken entsprechend in verschiedene Bahnen. Wir denken anders, wenn wir argumentieren, eine These verteidigen oder zwei verschiedene Dinge miteinander vergleichen und kontrastieren. Die Suche nach einer witzigen Gegebenheit lässt uns freier an den Text herangehen als der minutiöse, detailgenaue Bericht. Zum Beispiel unterscheiden sich die Intentionen bei einer Argumentation von dem eines ironischen Kommentars. Die Argumentation versucht den Leser zu überzeugen, das Kommentar eher zu unterhalten. Während die Diskurselemente der Argumentation Beweise, Beispiele und Behauptungen sind spielt sich die Sinnkonstruktion der Ironie auf eine latenten Weise ab, Sie muss vom Leser zwischen den Zeilen/ unter der Oberfläche des Textes konstruiert werden. Eine Argumentation kommt dagegen direkt zum Punkt. Diese unterschiedlichen Arten des Schreibens und die rhetorischen Ziele beeinflussen auch die Art und Weise, wie wir über den Text nachdenken.
Schreibanregung – So nutzen Sie den Genre-Effekt:
Schreiben Sie den gleichen Text zweimal. Erarbeiten Sie zwei separate Argumentationsstrukturen für ihren Text. Wählen Sie dafür entweder zwei verschiedene Genres (Schreiben Sie einen Bericht und eine ironisches Kommentar) zum gleichen Thema oder adressieren Sie den Text einmal für die Bundeskanzlerin und dann für Ihren achtjährigen Neffen. Durch diesen Perspektivenwechsel erarbeiten Sie sich Gedanken- und Formulierungsmaterial und durchleuchten das Thema stärker. Dann kombinieren Sie beide Sichtweisen zu einem dritten Entwurf indem sie sich die besten Ideen und Formulierungen herauspicken und Ihren Text mehr Insight, Pepp oder Eigenart geben.
Der Text braucht Reife: Der Zeit-Effekt
Zeit ist der größte Hemmfaktor für die Entfaltung des epistemischen Schreibens. Deadlines zwingen uns dazu, uns mit der ersten „gut-genug-Lösung“ zufrieden zu geben. Dabei könnten wir die Qualität unserer Texte steigern, würden wir den „zeitlichen Distanzeffekt“ nutzen und unseren Text wie eine Frucht mit der Zeit reifen lassen. Objektivieren Sie ihren Text, indem Sie sich geistig-emotional lösen und ihn so kritischer und besser aus der Leserperspektive beurteilen können.
Haben Sie das auch schon einmal erlebt, dass sie mit einem Textentwurf zufrieden sind aber nach einiger Zeit erkennen, dass er noch einige Stolperstellen hat? Woran liegt das? Nun, zum einen hat sich unser Wissen weiterentwickelt und/oder mit dem Weiterschreiben des Textes machen wir Entdeckungen, die Rückwirkungen auf die vorderen Passagen haben. Doch nicht nur das Lernen, sondern auch das Vergessen ist sehr nützlich, denn beim Schreiben schwingen oft Kontexte und ganz verschiedene aktuelle Wissensfelder mit in Ihrem Kopf herum, die aber nicht immer zu Papier gebracht werden.
Kommen wir zur emotionalen Ebene. Ich kenne viele Schreiber, die sich in Ihren eigenen Erstentwürfen festhängen. Mehrere Mechanismen stehen hinter diesem Effekt, z.B. sind unerfahrene Schreiber froh, dass sie überhaupt einige gute Formulierungen gefunden haben und haben Hemmungen, sich wieder von jenen zu lösen, selbst wenn die Testpassagen nicht mehr in die Argumentationstruktur passen. Des Weiteren hat das ständige Lesen der eigenen Gedanken einen selbstverstärkenden Effekt: Mit der Zeit glaubt man einfach das, was man geschrieben hat und liest leichter über Inkonsistenzen hinweg. Viele verlieben sich zu leicht in Ihre eigene kreative Arbeit und erblinden gegenüber Kritik. Nach ein paar Tagen lassen diese Effekte allerdings schon nach und wir können den Text mit unbefangeneren Augen betrachten.
Es gibt auch einen energetischen Aspekt, der uns rät, den Text eine Weile ruhen zu lassen. Dies betrifft sowohl die Schreibpausen zwischendurch, denn wir können uns nur ca. 60-120 min richtig gut konzentrieren, als auch die längeren Erholungspausen, da genügend Entspannung essentiell für die optimale Leistungsfähigkeit des Gehirns ist. Sie kennen sicher noch den Prüfungsstress und die damit einhergehende Gefahr der Denkblockade – ähnlich ist es bei zu starkem Zeitdruck. Sicher, geübte Schreiber können damit wunderbar umgehen, denn sie haben Ihr Handwerkszeug gelernt und setzen dieses schnell und elaboriert ein. Doch sie entfalten dabei wohl kaum ihr volles kreatives Potential. Gute Ideen brauchen Zeit zu reifen; will man neue Wege beschreiten braucht man Zeit, um sich immer wieder neu zu orientieren.
So nutzen Sie den zeitlichen Abstand als Lerneffekte:
Arbeiten Sie öfters in Runden: Beachten Sie Ihre individuelle Konzentrationsspanne (meist zwischen 45 und 90 Minuten). Machen Sie immer wieder kleinere Pausen, in denen Sie sich entweder entspannen oder kleinere organisatorische Dinge erledigen. Keine Angst, das Gehirn arbeitet in dieser Zeit mehr oder weniger bewusst an der Aufgabe weiter und wird nach den 15-60 Minuten Pause zu Beginn der neuen Schreibrunde seine Ergebnisse durch Ihre tippenden Hände dem Papier mitteilen…
Wechseln Sie Schreiben und Anregung ab: Sie können Ihren Schreibfluss auch dahingehend spannungsreich und hoch halten, indem Sie eine Schreibrunde mit einer „Anregungsrunde“ abwechseln. Das heißt in einer Runde lesen, diskutieren oder konzeptionieren Sie, in der andern setzen Sie die Ergebnisse schriftlich um. Das verhindert die Monotonie und Flachheit beim Schreiben, versorgt sie ständig mit Ideen und Sie erreichen durch diese Methode ein sehr hohes Reflektionsniveau und Kreativitätspotential.
Powern Sie sich richtig aus, genießen Sie Ihr Leben und gehen Sie ihren Hobbys nach! Sie haben richtig gelesen. Treiben Sie Sport, treffen Sie Freunde, basteln Sie an Ihrer Modelleisenbahn. Aber behalten Sie immer Ihr Ziel und Ihren Text vor Augen. Sie werden merken, dass Sie beim Laufen gut über Ihren Text nachdenken, wunderbare Anregungen im kurzen Gespräch mit Freunden und mitunter einige Parallelen zwischen Ihrem Hobby und dem aktuellen Thema ziehen können. All dies sind wiederum Dinge, die durch den inhaltlichen Abstand und eine neue Perspektive neuen Nährstoff für Ihr Projekt geben können. Das entspannt Geist und Körper – und Forschungen haben gezeigt, dass unser Gehirn im entspannten Zustand am Besten arbeiten kann.
Seien Sie immer bereit: Aus eben jenem Grund, dass uns die besten Einfälle in den ungewöhnlichsten Situationen kommen können: im Park, auf dem Rückweg vom Sport oder beim Drink mit Freunden, sollten wir immer mit Zettel und Stift bewaffnet sein, denn leider vergisst man häufig gute Gedanken genauso plötzlich, wie Sie gekommen sind.
Nach dem Schreiben ist vor dem Schreiben: Hand auf Herz: Wie oft evaluieren Sie Ihre persönlichen Schreibstrategien? Viele vertrauen auf intuitive Lerneffekte aus den einzelnen Schreibprojekten und versäumen es, diese bewusst werden zu lassen. Nehmen Sie sich deswegen nach größeren aber auch einigen kleineren Schreibprojekten eine Stunde Zeit und investieren Sie in die Produktivität Ihrer zukünftigen Arbeitsweise. Denn nur so können Sie gezielt Ihre Arbeitsweise analysieren und optimieren und können durch die Schriftlichkeit diese auch in der Zukunft noch ad hoc abrufen.
Fazit
Schreiben an sich verursacht nicht direkt ein Lernen. Vielmehr lenkt das Schreiben gedankliche Tätigkeit in die entsprechenden Bahnen, so dass ein Thema systematischer und zielbezogen verarbeitet werden kann. Man schafft sich schreibend ein Denkmedium, kann durch die Kreation eines Text-Produktes sein Denken objektivieren und sich durch zeitlichen Abstand besser in die Schuhe des Lesers hinversetzen. Viele erfahrende Schreiber nutzen die Möglichkeit, wenn Sie denn mal Zeit haben, den Text auch wirklich liegen zu lassen und über die Zeit durch verschiedene Entwicklungsstufen reifen zu lassen. Ebenso suchen sie das Gespräch mit anderen und die kritische Auseinandersetzung, um dann den Text mitunter noch einmal grundlegend, und nicht nur an der Oberfläche, zu überarbeiten.
Denken Sie immer daran, die Qualität des Textes wird neben dem stilistischen Handwerkszeug im Wesentlichen durch einen gut durchdachten Text bestimmt – das äußert sich in der nicht nur im Inhalt sondern auch in der Struktur.
Weiterführende Literatur
Dr. Krengel, Martin: Der Studi-Survival-Guide; uni-edition, Berlin 2006 – (Zeitmanagement auf Studenten zurechtgeschnitten, aber durchaus sehr brauchbar im Arbeitsalltag, wie einige Journalisten attestierten, die das Buch rezensierten)
Klein, Perry D.: Reopening Inquiry into cognitive processes in writing-to-learn; Educational psychology review, Vol. 11, No.3, 1999, Seiten 203-270 – (Ein guter Überblick über die amerikanische Forschung bezüglich des Lerneffekts beim Schreiben)
Molitor-Lübbert, Sylvie: Der Lerneffekt beim Schreiben – Eine interdisziplinäre Betrachtung unter besonderer Berücksichtigung der elektronischen Medien; IDL, Tübingen 2000 – (Eine sehr schöne Arbeit, die verschiedene Richtungen der Schreibforschung und Psychologie gut zusammenfasst)
Kategorie: Zeitmanagement, Motivation, Fokus
Artikel von Martin Krengel
am 12.02.2016
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